Produktdetails

om27 / Band 7
Reinhard Keiser (1674–1739)
Desiderius, König der Longobarden (Hamburg 1709)
Musicalisches Schauspiel
Herausgegeben von Hansjörg Drauschke
om27
Ausgaben*

Hamburg hatte sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts zu einem wirtschaftlichen und handelspolitischen Zentrum ersten Ranges im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation entwickelt. Dafür war die Bedeutung der Stadt als größter Hafen für den Nord-Ostsee-Raum maßgeblich. Hinzu kamen die Einbindung in die Hanse und die große Entfernung zu Wien, was zu einer besonders eigenständigen Stellung der Stadt innerhalb des Reiches führte. Im Hinblick auf seine Wirtschaftsbeziehungen hatte sich Hamburg politisch immer neutral verhalten. Entsprechend wichtig war es, kontinuierliche diplomatische Kontakte zu pflegen – sowohl für Hamburg selbst, das sich damit seiner Reichszugehörigkeit, zugleich aber auch seiner reichsunabhängigen Beziehungen zu anderen Staaten immer wieder versicherte, als auch für die betreffenden Regierungen, denen an einem guten Verhältnis zu der bedeutenden Hafenstadt gelegen war. So beherbergte Hamburg neben der reichen Kaufmannschaft ständig eine große Zahl von Diplomaten, die fest in der Stadt residierten (unter diesen befand sich auch ein Vertreter des Kaisers) oder als Gesandte ihre Besuche abstatteten. Hinzu kamen Adlige auf der Durchreise oder mit vorübergehendem Wohnsitz. Hamburg war eine politisch und gesellschaftlich bedeutende, finanzkräftige Metropole in Nordeuropa.

Seit 1678 gab es in der Stadt eine ständig bespielte Oper nach italienischem Vorbild – die größte und bestausgestattete derartige Bühne Deutschlands. Trug diese Oper ohnehin maßgeblich zum hohen Niveau des kulturellen Lebens der Stadt bei, so bekam sie im Zusammenhang mit dem politisch-diplomatischen Standort Hamburg zusätzliche Bedeutung. Wie es auch in anderen Städten und an Höfen üblich war, wurden zu wichtigen politischen und gesellschaftlichen Anlässen wie Friedensschlüssen, Hochzeiten, Thronbesteigungen, Geburts- und Namenstagen von Herrschern usw. Huldigungs- und Festveranstaltungen durchgeführt. Zur besonderen Prachtentfaltung bei herausragenden Ereignissen dienten Festaufführungen im Opernhaus. Da die Oper als kommerzielles Unternehmen politisch weitgehend neutral blieb, konnte jeder Gesandte, sofern ihm entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung standen, die Bühne für seine Zwecke mieten. Zu Festen insbesondere im Zusammenhang mit dem Kaiserhaus richtete der Rat selbst Festopern aus. Geladen wurden die in der Stadt residierenden Diplomaten, Adlige, Ratsabgeordnete, hohe Gäste und Bürger. Daneben hatte auch zu diesen Opern zahlungskräftiges Publikum Zutritt. Desiderius entstand aus Anlass des 31. Geburtstages Kaiser Josephs I. (1678–1711) und wurde dem Eintrag einer Hamburger Chronik zufolge am 25. Juli 1709 aufgeführt: „Heute tractirte der Graf Schönborn auff den Gebuhrts Tag des Kaysers den Raht und etliche frembde und wurde eine Opera hernacher zu dem Ende gespielet intituliret Desiderius König der Longobarden, nach der Opera ward ein Ballet gehalten.“

Joseph I. war am 26. Juli 1678 als erster Sohn Leopolds I. geboren worden. Ob die Chronik das tatsächliche Aufführungsdatum der Oper mitteilt – der Librettodruck nennt den 26. Juli –, kann nicht mit Sicherheit entschieden werden. Die Chronik-Einträge für den 25. Juli und den Folgetag sind akkurat getrennt, ein Datierungsfehler ist daher unwahrscheinlich. Für den 26. Juli enthält die Chronik keinerlei Aussagen über festliche Aktivitäten. Johann Mattheson nennt im Musicalischen Patrioten nur das Jahr der Aufführung.

Graf Damian Hugo von Schönborn, Leiter einer Kaiserlichen Kommission zur Wiederherstellung von Ruhe und Sicherheit in Hamburg, war 1708 in die Stadt entsandt worden, um die Unruhen der Bürgerschaft gegen den Rat, die in massive Ausschreitungen gemündet waren, zu befrieden. Durch das Wirken der Schönbornschen Kommission war im Sommer 1709 bereits eine gewisse Beruhigung eingetreten. In dieser Situation musste es dem Rat ganz besonders auf eine Demonstration seiner Kaisertreue ankommen. Es ist daher mit Dorothea Schröder anzunehmen, dass für Desiderius der Rat und nicht, wie es die zitierte Chronik-Notiz nahelegt, Schönborn als Auftraggeber des Werkes und als Träger der Aufführung fungierte.

Den aktuellen Hintergrund für die Wahl des selten bearbeiteten Desiderius-Stoffes bildete der Feldzug Josephs I. gegen Papst Clemens XI. im Winter 1708/09. Der Papst hatte Josephs Bruder Karl die Anerkennung als spanischer König verweigert, wogegen der Habsburger mit aller Konsquenz vorgehen musste, denn dabei ging es nicht nur um Spanien, sondern auch um die Vormachtstellung Wiens in Oberitalien. Bereits im Januar 1709 war die kaiserliche Oberhoheit in Parma anerkannt worden, die Anerkennung Karls als Karl III. von Spanien erfolgte jedoch erst im Oktober desselben Jahres. In der Zwischenzeit entstand Barthold Feinds Libretto.

Zur „Klärung“ der Frage, ob Josephs Forderungen und sein militärisches Vorgehen gegen den Papst gerechtfertigt seien, griff Feind auf den historischen Feldzug Karls des Großen gegen den 757 gekrönten letzten König der Lombardei Desiderius zurück. Unter langobardischer Herrschaft befanden sich mehrere italienische Herzogtümer, für die von Seiten Roms Rückgabeforderungen bestanden. Desiderius führte jedoch eine geschickte Hinhaltepolitik; einen letzten Aufschub erlangte er 770 durch die Vermählung seiner Tochter Desiderata an Karl. Dennoch blieben die beiden Herrscherhäuser im Grunde verfeindet, und als nach dem Tode seines Bruders Karlmann 771 Karl dessen Reichsanteil annektierte, flohen Karlmanns Witwe und Kinder an den langobardischen Hof. Zum offenen Bruch zwischen Franken und Langobarden kam es 772, als Karl seine Gemahlin Desiderata verstieß. Desiderius zog daraufhin 773/74 gegen Rom, u.a. um die Salbung der Söhne Karlmanns zu Königen zu erzwingen und damit deren Gebiete in langobardische Hand zu bringen. Papst Hadrian I. auf seine Seite zu ziehen gelang Desiderius allerdings nicht. Hadrian ersuchte stattdessen Karl um Hilfe, der 773 zunächst seinen Vetter Bernhard mit einem Teil der Armee nach Italien schickte, um Desiderius eine Abfindung für die Einlösung seiner Gebietsrückgabeversprechen anzubieten. Dieser schlug den Vergleich aus, und Karl rückte nun selbst nach Italien. Desiderius, der sich zunächst nach Pavia zurückgezogen hatte, musste sich 774 ergeben. Karl führte von nun an den Zusatztitel „König der Langobarden“, setzte Desiderius bis zu dessen Tod gefangen und zerschlug damit endgültig das Langobardenreich. Auch die Bemühungen von Desiderius’ Sohn Adalgisus, es wieder aufzurichten, schlugen fehl.

Der Bezug dieser Geschehnisse zum Feldzug Josephs I. gegen Clemens XI. bestand darin, dass Karl nach seinem Sieg über die Langobarden sowohl das Patrimonium Petri unter seine Herrschaft gestellt als auch das Investiturrecht für sich in Anspruch genommen hatte. Der Desiderius-Stoff bot also die Möglichkeit einer Legitimierung der aktuellen Forderungen Josephs I. gegen Rom. Dazu weist Feind insbesondere auf das unter Hadrians I. Nachfolger Leo III. einberufene Konzil hin, „auf welchem er [Karl] sich dann in dem Rechte/ wie er den Käyserl. Titul annahm/ einen Pabst zu erwehlen/ den Römischen Stuhl/ nach seinem Gefallen/ einzurichten/ die Fürstliche Würde eines Patricii zu vergeben/ und in andern Prærogativen mehr/ feste setzte/ so gar/ daß alle Ertz- und andere Bischöffe von ihm allein die Investitur erlangen solten/ und solches/ bey Straffe des Bannes und Confiscirung ihrer Güter […]“. Ein Gesandter Karls hatte in Rom die „Huldigungen […]/ mit Uberreichung der Schlüssel Concessionis Petri, sammt der Römischen Fahne“ entgegengenommen. Seither sei es Usus, so Feind, dass „die Römische Bischöffe/ oder Päbste […]/ wenn sie sich übel verhalten/ von den Käysern pflegen abgesetzt zu werden […]“.

Angesichts eines solcherart interpretierenden Rekurses auf die Geschichte bedurfte es über Feinds ausführliche Vorrede hinaus nur weniger prägnanter Hinweise im Libretto selbst, um die Oper in diesem Sinne auszurichten. Zu Beginn überreicht Ambrosius, der Gesandte Hadrians I., Karl die Schlüssel St. Petri und die Römische Fahne und wiederholt damit die Unterwerfungsgeste Leos III. unter den Frankenkönig. Programmatisch wird vorher in einem Duett von Carolus Magnus und Bernardus die Gerechtigkeit als Garant für eine siegreiche Schlacht besungen. Am Schluss der Oper steht Karls triumphaler Einzug in Pavia, vorbei an der am Fuße des Triumphbogens ihm huldigenden Italia. Im Übrigen bleibt Raum für die Liebesintrigen, die gewohntermaßen den Hauptteil der Handlung ausmachen. Für diese verließ Feind den Boden des historisch Verbrieften und führte einige „vergönnete Fictiones“ ein, wie insbesondere die Francesco Silvanis Libretto Il duello d’amore e di vendetta entnommene Rolle der Floriana.

Hamburgs Huldigung an Joseph I. geschieht im Pro- und im Epilog. Im mit 27 Nummern ungewöhnlich umfangreichen Prolog wird dabei ein weiteres Mal Josephs Herrschaftsanspruch legitimiert, allerdings von einer ganz anderen Seite her als es durch die Opernhandlung geschieht. Feind stellt zu Beginn der Vorrede eine Interpretation seines Prologs vor. Diese geht von Dethlev Cluvers „Thema Natalicum Sr. Römischen Kaiserlichen Majestät“ – des Geburtshoroskops Josephs I. – aus, das Feind wie folgt auslegt: Aus der Zuordnung der zwölf Sternkreiszeichen zu den vier Elementen ergeben sich vier „Trigoni“, die entsprechend der Konstellation von Saturn, Jupiter und Mars alle 800 Jahre wechseln. Danach, so Feind, teilen die Sternenkundigen die Weltalter in ein Mohammedanisches, ein Heidnisches, ein Jüdisches und ein Christliches ein, denen die Elementen-Trigoni Wasser (mit den Sternzeichen Krebs, Skorpion und Fische), Erde (Stier, Jungfrau, Steinbock), Luft (Zwillinge, Wassermann, Waage) und Feuer (Schütze, Widder, Löwe) entsprechen. Joseph ist nun im Zeichen des Löwen geboren und damit dem christlichen Element des Feuers zugeordnet, woraus Feind dessen rechtmäßigen Anspruch auf eine Oberherrschaft über die christliche Welt ableitet. Die Legitimation zur Kriegsführung wird darüber hinaus durch Vulcanus’ Sieg im Elementenstreit symbolisiert: Auf sein Argument „Ich werde doch nur durch die Waffen dem Streit ein Ende können schaffen“ folgen zwei kämpferische Chöre sowie ein „Kampff-Ballet“ und darauf Aletheas Entscheidung „Vulcanus hat gewonnen. In seinem Zeichen geht das Licht der Sonnen“. Auch im kurzen Epilog wird noch einmal die enge Verbindung zwischen Karl dem Großen und Joseph I. und zugleich zwischen Hamburg und dem Reich herausgestellt: Von Karl als Gründer Hamburgs (um „die wilden Normannen vom Elbstrom zu bannen“) aus richtet sich die Prophezeihung auf seinen „Nachsaß“ Joseph und dessen gegenwärtige Sorge um Hamburgs Ruhe.

Neben der Ausarbeitung dieser Zusammenhänge ist die differenzierte Figurendarstellung ein wesentliches Qualitätsmerkmal von Feinds Libretto. Das treffendste Beispiel dafür ist Desiderius selbst, der nicht nur als intriganter Bösewicht gezeichnet ist, sondern als äußerst facettenreiche Figur, die den unter die Last des Herrschens gebeugten König, den seinem Schicksal trotzenden Tyrannen, den gebrochenen Besiegten und den zwischen zwei Frauen stehenden Liebhaber gleichermaßen in sich begreift. Es ist diese psychologisch motivierte Figurendarstellung, die die hohe Qualität der Feind’schen Opern ausmacht und die sich offenbar mit Keisers dramatischem Talent hervorragend traf.

Barthold Feind zählt zu den wichtigsten Librettisten Keisers. Der 1678 in Hamburg Geborene kehrte nach einem Jurastudium in Halle und Wittenberg in seine Heimatstadt zurück. Dort war er als Schriftsteller und vermutlich als Advokat tätig. Feind war ein streitbarer Geist, der sich mit gleichermaßen gewandter wie spitzer Feder bei weitem nicht nur Freunde machte. Während der Hamburger Bürgerunruhen stellte er sich auf die Seite des Rates und musste nach dessen weitgehender Entmachtung 1706 aus der Stadt fliehen. Erst aufgrund des Einschreitens der kaiserlichen Kommission unter Schönborn wurde er 1708 rehabilitiert. Gerade das Anliegen des Desiderius dürfte Feinds innerem Empfinden also sehr entsprochen haben. 1717 geriet Feind vorübergehend in dänische Haft; im selben Jahr wurde er Vikar am Dom zu Hamburg. Dort verstarb er 1721.

Das Desiderius-Libretto entspricht Feinds opernästhetischen Ansichten aber noch in einem anderen wesentlichen Punkt. Es gehört zu den wenigen Libretti Feinds, in denen keine ‚komische Person‘ vorkommt. Dieser Umstand ist bemerkenswert: Gewiss hatte Feind sich bei Repertoireopern „nach dem Gusto der [zahlenden] Zuschauer“ zu richten, was bei einer Oper für eine Festaufführung wohl weniger der Fall war. Allerdings verzichten durchaus nicht alle Hamburger Festopern auf die ‚komische Person‘. Für Desiderius sind keine Daten zu Folgeaufführungen bekannt. Dass die Oper tatsächlich nicht ins Repertoire aufgenommen wurde – was es Feind ermöglicht haben könnte, die ‚komische Person‘ wegzulassen –, kann aber nicht mit Sicherheit gesagt werden. Verschiedene Rötel- und Federstriche in der Partitur können sowohl im Zusammenhang mit der Uraufführung als auch für eine Wiederaufnahme vorgenommen worden sein.

Bemerkenswert ist die große Anzahl der Tänze, die in Desiderius integriert sind. Allein im Prolog unterstützen vier Entrées und zwei Ballette zusammen mit zahlreichen Chören und Ensembles die Pracht der Huldigung an Joseph I. Erster und zweiter Akt haben jeweils zwei Entrées, der fünfte Akt schließt mit einem Grand Ballett. Allerdings liefert die Partitur nur zu zwei dieser Tanzeinlagen musikalische Sätze: ein Rondeau zur „Entrée der Dames und Cavaliere“ und eine Gavotte zur „Entrée der Mühlknappen“. Für die übrigen Tänze war der Ballettmeister zuständig, der nicht nur die Choreografie und die Einstudierung, sondern auch die Auswahl bzw. die Komposition der weitgehend standardisierten Tanznummern übernahm. Welcher Ballettmeister an der Desiderius-Produktion beteiligt war, ist nicht überliefert. Allerdings arbeitete im selben Jahr La Vigne in Hamburg, wie Matthesons Eintrag im Musicalischen Patrioten für Keisers La forza dell’Amore mitteilt. Dieser Meister gehörte zu den in Hamburg tätigen Mitgliedern der Pariser Academie; es ist durchaus denkbar, dass er auch für die Ballettleitung in Desiderius zuständig war.

Welche Sänger im Desiderius auftraten, ist nicht bekannt. Als Keiser 1697 das Opernkapellmeisteramt antrat, konnte er bereits mit einem durch seinen Vorgänger Johann Sigismund Kusser (1660–1727) hervorragend geschulten Sängerensemble arbeiten. Über dessen Mitglieder und darüber, wie viele von ihnen festangestellte Sänger waren, weiß man allerdings für die erste Dekade des 18. Jahrhunderts nur sehr wenig. Aus den bekannten Fakten lässt sich schließen, dass das Ensemble in seiner Zusammensetzung über längere Zeiträume konstant blieb. So wissen wir von Sängerinnen und Sängern, die bereits um bzw. vor 1700 an der Oper sangen und noch 1711, in der Rollenliste, die Johann Mattheson dem Partiturautograph zu seiner Oper Henrico IV. voranstellte, auftauchen. Librettisten wie Barthold Feind nutzten diese Konstanz für die Ausarbeitung ihrer Rollen: „Dabey muß die Fähigkeit des Acteurs und fürstellenden Person zu diesem oder jenem Affect reifflich erwogen werden/ weil einer zu etwas Heroisches/ der andre zu etwas zärtliches und affectuöses geschickt/ etliche alle affecten, etliche auch nur einen vorzustellen wissen/ und wenn dieses nicht beobachtet wird/ wie dieser Fehler bey den meisten und fürtrefflichsten Schau=Spielen gemein/ so kan weder der Poët noch geschickteste Musicus seinen Zweck erreichen […]“.

Aufgrund der bekannten Daten kommen für 1709 folgende Sängerinnen und Sänger in Hamburg in Frage: Margaretha Susanna Kayser (Sopran), Mlle. Rischmüller (Sopran), Mlle. Schwartz (Sopran), Johann Conrad Dreyer (Tenor) und Salomo Bendeler (Bass) sowie weiterhin „die gewesene Meintzin, damahls Frau Oberstinn Nirot“ aus Hannover, Mlle. Heller (Sopran), Mr. Dumont (Tenor), Mr. Petzholt (Bass) und Mr. Fischer (Bass). Hinzu kommen Mme. Dehling (1708), Mme. Paulina (Sopran) und Mlle. Wiese (1708). Auch eine Mitwirkung des Sängers Johann Ernst Rothe (Bass), der im fraglichen Zeitraum an verschiedenen Opernhäusern wirkte (u. a. in Braunschweig und Hamburg), muss erwogen werden.

Das Hamburger Opernorchester war um 1709 reich besetzt; zu seinem festen Bestand zählten neben Streichern, Flöten, Oboen, Fagotten und der Continuo-Gruppe (Cembalo, Theorbe, tiefe Streicher) auch Blechblasinstrumente und Pauken. Als Standard ist eine doppelte Besetzung der Streicher bei einfacher Besetzung der Bläser anzunehmen (Arien des „con tutti li Stromenti“-Typs); bei den an einigen Stellen auftretenden Teilungen der Oboen übernahmen andere Instrumentalisten die entsprechenden Stimmen. Blech und Pauken kamen nicht bei allen Opern zum Einsatz. Wovon ihre Verwendung im Einzelnen abhing, ist kaum zu entscheiden. Der äußere Anlass scheint jedenfalls nicht ausschlaggebend gewesen zu sein. Vielleicht spielten in manchen Fällen finanzielle Überlegungen eine Rolle, sicherlich auch der Charakter des Werkes und seiner Personen. Für Desiderius erscheint der zweite Grund plausibel, konzentriert sich das Libretto doch auf die zwischenmenschlichen Konstellationen, wogegen kriegerisch-heroisches Geschehen nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Mit Desiderius wird erstmals eine der Hamburger Festopern in einer Neuausgabe vorgelegt. Das Werk macht den Einfluss funktioneller Ansprüche an derartige Kompositionen in eindrucksvoller Weise deutlich. Der ausgedehnte Huldigungsprolog ist im Umfang den Akten der Oper gleichwertig. Großes Gewicht liegt überdies auf der Prachtentfaltung durch Tanzeinlagen, Chöre und die Ensemble-Szenen besonders im Prolog und im ersten Akt. Musikalisch steht Desiderius zwischen Keisers frühen Opern mit ihren zahlreichen Accompagnati und langen Solo-Szenen und denjenigen der späteren Schaffenszeit, die sich eindeutig dem Seria-Typ zuwenden. Die Nummernabfolge gehorcht bereits weitgehend dem Rezitativ-Aria-Schema. Von besonderem Reiz sind dabei jedoch die sehr unterschiedlichen Arientypen. Keisers musikalische Gestaltung entspricht der formal und stilistisch reichen Textvorlage Barthold Feinds. Die Ausgabe stellt damit nach Octavia und Masaniello furioso ein weiteres Zeugnis der fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Feind und Keiser vor.

(Vorwort zur Partitur von Hansjörg Drauschke)

Zurück