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Musik zwischen Elbe und Oder Bd. 41
om272
Antonio Rosetti (1750 - 1792)
Requiem Es-dur (Murray H15 (Version C, 1776/1791))
für Soli (SATB), Chor (SATB), 2 Fl, 2 Kl, 2 Fg, 2 Hr, 2 Tr, Pk, 2 Vl, 2 Vla, Vlc, Vlne, Org
Herausgegeben von Roland Biener
om272
ISMN 979-0-502341-77-0
Hardcover, XXVI + 68 Seiten
inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten 44,00 EUR

Am 24. Dezember 1791 beschrieb die Wiener Zeitung Atmosphäre und Aufwand eines weit hin beachteten Ereignisses: Zehn Tage zuvor waren 4000 Menschen in St. Nikolas (chrám svatého Mikuláše) auf der Prager Kleinseite erschienen, um des am 5. Dezember verstorbenen Wolfgang Amadé Mozart in einer Trauerfeier zu gedenken. Unter der Leitung des Kapellmeisters Jan Joseph Strobach (1731–1794) erklang ein Requiem des zu dieser Zeit in der Mecklenburg-Schweriner Residenz Ludwigslust lebenden Antonio Rosetti (um 1750–1792). Zu den Ausführenden zählten die führenden Musiker Prags, die Solosopranpartie übernahm Josepha Duschek/Duskovà (1754–1824). Doch war das Werk keineswegs zu diesem Anlass verfasst worden, und Rosetti selbst wird, wenn überhaupt, erst später von der Aufführung seines Werkes erfahren haben. Sie reiht sich in eine große Zahl von Einstudierungen ein, die die Bedeutung und Beachtung erkennen lassen, denen sich diese Komposition der Totenmesse seit ihrer Entstehung im Jahr 1776 erfreuen konnte und die Rosettis Ruhm seither begründeten.
Anlass zur Entstehung des Requiems fünfzehn Jahre zuvor war ein Todesfall, der den Hof, an dem Rosetti seit 1773 wirkte, in große Trauer gestürzt hatte. Bei der Geburt des ersten Kindes verstarb am 9. März 1776 die gerade neunzehnjährige Fürstin Maria Theresa von Oettingen-Wallerstein, eine geborene Prinzessin von Thurn und Taxis. Für die am 26. März stattfindenden Beisetzungsfeierlichkeiten erteilte Fürst Kraft Ernst (1748–1802) seinem Kapellmeister Antonio Rosetti den Auftrag zur Abfassung eines Requiems. Dem Komponisten blieben, abzüglich der notwendigen Proben, knapp zwei Wochen zur Vollendung aller für eine Totenmesse unbedingt erforderlichen Teile. Rosetti ging pragmatisch vor. Benedictus und Agnus Dei fehlen und wurden vermutlich aus im Notenarchiv des Fürsten vorhandenen Messen ad hoc ergänzt. Nicht auszuschließen ist, dass der Komponist mit der überaus reizvollen und farbig instrumentierten Soloarie Cur faciem tuam abscondis (Hiob 13,24) statt des traditionellen Domine Jesu Christe auf ein bereits früher entstandenes Offertorium zurückgriff. Aber auch innerhalb der traditionell zu komplexen Sätzen zusammengefassten Abschnitte kam es zu Strichen. Rosetti verzichtete unter anderem auf ein Kyrie eleison und weite Abschnitte der Sequenz.
Es entstand ein Werk von außerordentlicher Anmut und Schönheit, dem alle Düsternis fehlt. Eine Geste des Komponisten berührt bis heute: Im Introitus zielt die Bitte des Chores um die ewige Ruhe nicht wie üblich auf die Allgemeinheit der Verstorbenen. Das „dona ei requiem“ bezieht sich hier direkt auf die Fürstin: „Herr, gib ihr die ewige Ruhe“. Die Totenmesse rief bald weit über Wallerstein hinaus Interesse hervor, und unbeschadet der unvollständigen Umsetzung des Messordinariums erlangte das Werk weite Verbreitung. Eine erste, kaum veränderte Abschrift wurde bereits im Entstehungsjahr in das Regensburger Archiv der Fürsten von Thurn und Taxis aufgenommen. Noch zu Rosettis Lebzeiten wurden fehlende Partien ergänzt – teils aus originaler Substanz, teils frei. Die so entstandenen fünf (möglicherweise sechs) Versionen befinden sich heute in Bibliotheken in Deutschland, Tschechien, Österreich, der Schweiz, Italien und Frankreich.
Während die meisten Ergänzungen Hinweise auf lokale Musikpflege und historische Verbreitungswege geben können, kommt der Prager Version durch die Nähe zum Komponisten und dessen Umfeld die größte Bedeutung zu. Unklar bleibt, ob Rosetti seinem Freund aus Studientagen die Stimmen aus eigenem Antrieb übersandte oder ob Strobach die Noten aus Wallerstein anforderte. Zumindest ist zu erschließen, dass Rosetti sein Werk sowohl vorher als auch in diesem Kontext einer Revision unterzog. Hinweise auf eine Arbeitspartitur und somit auf eine Werkentwicklung geben die kleinen, aber sehr pointierten Änderungen im Quantus tremor und noch mehr im Schlusstakt des Lacrymosa. Der gewandelte und von den Fassungen Wallerstein und Regensburg abweichende Stimmenverlauf der Osanna-Fuge wurde vom Kopisten ohne Korrekturen übernommen und fand sich mit größter Wahrscheinlichkeit bereits in Rosettis überarbeiteter Vorlage. Ein wertvoller Hinweis der Prager Quelle bezieht sich auf die von Rosetti möglicherweise selbst vorgenommenen Ergänzungen aus Werken anderer Komponisten, und diesem sollte künftig nachgegangen werden: In der Wallersteiner Kopistenschrift der Tromben- und Tympani-Stimmen folgt dem Lacrymosa ein Amen (Es-Dur, Allabreve), das helfen kann, einen hier verwendeten fremden Satz zu identifizieren.
Da bereits in der Wallersteiner Kopie der Prager Quelle enthalten, kann auf Rosettis Modifikation der Besetzung geschlossen werden. Für Prag erhält der solistische Sopran das ursprünglich dem Solotenor gewidmete Offertorium. Die vorher nur als Behelf eingesetzte Klarinette wird verdoppelt. Gleichzeitig bleiben die beiden Taillen de hautbois (Rosetti: „Talie“, in F) erhalten, die Oboen fallen weg, und den Clarini werden Tromben beigesellt.
Benedictus und Agnus Dei fehlt der Bezug zu Wallerstein, wohl Strobach selbst ergänzte auf Wallersteiner Papier die fehlenden Sätze. Ob es sich dabei um Kompositionen Strobachs handelt, muss vorerst offen bleiben. Beide verzichten auf die paarweise Taille de hautbois und Flöten. Es dominieren Klarinetten und Hörner. Stilistisch unterscheiden sich die Sätze deutlich von denen Rosettis, gewährleisten aber als qualitätvolle Ergänzungen die Aufführbarkeit. Im Agnus Dei greift Strobach die Geste Rosettis wieder auf: Das nunmehr wiederkehrende „dona ei requiem“ kann jetzt auf Mozart bezogen werden.
Antonio Rosettis Requiem Murray H15 wurde in den vergangenen Jahren mehrfach wissenschaftlich gewürdigt. Seit 2008 liegt eine Einspielung des Werkes vor. Die kritische Erstausgabe möchte nun eine weitere Beschäftigung in Wissenschaft und Praxis befördern.
Für die vorliegende Partitur stand lediglich ein Mikrofilm der Quelle aus der Sammlung von Johann (Jan) Joseph Strobach zur Verfügung, heute mit der Signatur LRRA, Loreto music archive, inv. nr. 194 Bestandteil von The Lobkowicz Library and Archives, Nelahozeves Castle, Czech Republic. Ein direkter Zugang war leider nicht möglich. Zusätzlich wurden die beiden Quellen der Version A von 1776 berücksichtigt. Die erste Quelle, unter anderem von der Hand Antonio Rosettis und Joseph Nagels (1751/52–1804), stammt aus der Musiksammlung der Fürsten von Oettingen-Wallerstein und wird heute in der Universitätsbibliothek Augsburg aufbewahrt (D HR [D Au]: III 4 ½ 20 989, nachfolgend: D HR). Die zweite, von Baron Theodor von Schacht (1749–1823) nach Stimmenmaterial Franz Xaver Links (1759–1825) verfasst, befindet sich noch immer in der Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothek zu Regensburg (D Rtt: Rosetti 24 (score), nachfolgend: D Rtt). Allen Institutionen sei hier für die Publikationserlaubnis gedankt, ebenfalls Herrn Prof. Dr. Sterling E. Murray für den zur Verfügung gestellten Mikrofilm der Prager Fassung.

Roland Biener
Berlin, im Frühjahr 2020

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